Zunächst jedoch nicht für Mattéo, den Spanier in Frankreich. Mit seiner ihm eigenen Lakonie widersetzt er sich zunächst dem Kriegstaumel, dem sich auch seine Liebe Juliette nicht entziehen kann: „Guillaume denkt, dass die französische Armee Weihnachten in Berlin feiern wird."
Guillaume ist nicht nur der Sohn der de Brignacs, sondern auch Mattéos Nebenbuhler um Juliettes Liebe. Als Pilot zieht er mit der ganzen Nonchalance eines französischen Adeligen in den Krieg, um sich im Luftkampf fernab der monströsen Grabenkämpfe und Stellungskriege ehrenvoll um das Vaterland verdient zu machen. Mattéo geht weiter Trauben lesen. „Du wärst wirklich saudumm, wenn du nicht da bleiben würdest, wo du gerade bist," schreibt ihm sein Freund Paulin aus dem Schützengraben. Doch was zählt die Vernunft, wenn die Liebe entgleitet und einem Feigheit nachgetuschelt wird.
Mattéo ignoriert seine eigenen Überzeugungen, schlägt alle Warnungen des Freundes, das Entsetzen der Mutter in den Wind und leugnet die pazifistischen Ideale seines Vaters. Im Postamt ertappt er Juliette dabei, wie sie Guillaume ein Paket schickt. Er meldet sich freiwillig. „Für mich führte die Rückeroberung von Juliette noch immer über die des Elsass und von Lothringen."
Beim Einrücken begegnet er noch am Bahnhof dem durch Senfgas erblindeten Paulin - bevor die Hölle an der Front beginnt.
Mattéo ist nach „Der Aufschub" und „Von Dieben und Denunzianten" das dritte Epos des stilsicheren Jean-Pierre Gibrat. Seine gemäldehaften, teils impressionistisch angehauchten Zeichnungen legen Zeugnis ab von seiner großen Fähigkeit, Emotionen der dargestellten Protagonisten nicht nur in Worten und Mimik, sondern auch in der Kolorierung der Szenerie, Landschaften und Details zum Ausdruck zu bringen. Und so wandelt auch der Leser zwischen der südfranzösischen Farbpalette und dem düsteren Grabenkrieg hin und her, verfolgt den Verfall und die Zerstörung von Persönlichkeiten durch den Krieg parellel zu ihrer stillen Hoffnung auf Liebe und Rettung. Die Unbekümmertheit eines Spaziergangs in den Reben kontrastiert mit den in Stacheldrähten verirrten Krüppeln des Krieges.
Gibrat hat eine Faible für die großen wie auch kleinen Gesten und Symbole. Das alte Boot des Vaters, das Mattéo zu Beginn des Werkes blutrot und schwarz streicht, markiert von Beginn an einen stummen Anker in seinem Leben. Die Zigarette als Accessoire des lakonischen Existenzialismus begleitet Mattéo auf seinem Irrweg. Die Perspektiven aus den Schützengräben repräsentieren ein tief im Leser verwurzeltes Archetyp des Krieges.
Dies ist der erste Teil von Mattéo, weitere drei sollen folgen. Gibrat widmet sich der Entwicklung des Charakters in äußerster Tiefe, was ihn aus der Masse vieler Comic-Autoren deutlich heraushebt. Was noch bevorsteht, mag der Leser erahnen, wenn er den auf dem Titelbild abgebildeten, offensichtlich gereiften Mattéo mit seinen Erfahrungen innerhalb dieses ersten Teils vergleicht. Ein grafischer Entwicklungsroman auf hohem ästhetischen und literarischen Niveau.
Jean-Pierre Gibrat. Mattéo: Erster Teil: 1914 - 1915.
Salleck Publications Eckart Schott Verlag
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