beim frisör

bild beim frisoermuss das denn unbedingt heute sein? ich könnte vielleicht auch nächste woche gehen.oder in zwei wochen oder gar nicht. da stand ich nun direkt vor der frisörtür, zögerte und überlegte ernsthaft wieder nach hause zu gehen. aber das wollte ich mir dann doch nicht antun, so wie ich aussah würde demnächst zu hause mein spiegel zerspringen.und ich griff halbwegs entschlossen nach der klinke.

hallo, ich bin sylvia. … hallo sylvia. schön dass du hier bist. was soll denn bei dir gemacht werden? ja, so ganz genau weiß ich es selbst noch nicht. Ach so. ja, wenn ich mir deinen kopf so ansehe, kein richtiger schnitt mehr drin. und der ansatz bestimmt schon 3 cm. ist schon länger her, als du das letzte mal beim frisör warst. ziemlich lange. ja gut, dann schlage ich vor: wir machen das komplette paket: waschen, schneiden, färben, föhnen. ist das in ordnung? das ist ok, außer föhnen. das übernehme ich selbst. gut, damit bin ich einverstanden. … ja, dann legen wir mal los. kommst du mit zum waschbecken.
aber nachher nicht zu kurz schneiden, ja. wir machen nur was du willst. na hoffentlich, dachte ich und folgte ihr zu den waschbecken. ist es so angenehm für dich? könntest du es etwas kühler stellen? klar, mach ich. ists so gut? ja, perfekt. genau die richtige temperatur. dann fing sie an, mir den kopf mit shampoo einzuseifen und das zeug mit ruhiger hand einzumassieren. sie kreiste von den schläfen zum stirnbereich, von da aus zum oberkopf und weiter über den hinterkopf bis in den nacken. das war eine so herrliche prozedur, die sie glücklicherweise mindestens noch viermal wiederholte. ich entspannte mich dabei so vollständig, dass ich langsam einer neuen frisur vertrauensvoll entgegen sah. es war einfach großartig. sylvia massierte fantastisch. von mir aus hätte das noch stundenlang so weiter gehen können. sylvia hörte allerdings irgendwann auf, spülte das shampoo aus und legte mir ein handtuch um. ich ging wieder zum frisierstuhl zurück, setze mich hinein und wartete auf die nächste aktion. ich war entspannt, äußerst entspannt. sylvia lächelte in den spiegel. ich lächelte zurück. sylvia nahm eine schere aus ihrem scherenhalfter und sah wieder in den spiegel. ich mach es am besten so, dass dein haarschnitt oder das was er einmal war wieder so richtig in form kommt. da muss unbedingt ein neuer schnitt rein. aber lass noch was dran, ja. ja klar, nur so viel wie nötig. das ist recht. und die seiten etwas länger lassen. geht in ordnung, gab sie zurück und war schon hinter meinem kopf verschwunden. ich konnte natürlich nicht sehen, was sie da hinten zurecht schnitt. doch mein vertrauen war groß. irgendwann tauchte sie dann auch wieder hinter meinem kopf auf, ein wenig abgekämpft aber zufrieden sah sie mich durch den spiegel an. ganz schönes sauwetter heute, was. da hast du recht. da bleibt man am besten gleich den ganzen tag im bett. da sagst du was. ich hatte gestern meinen freien tag und ob dus glaubst oder nicht, ich habe denn halben tag verschlafen. ich finde das braucht man auch ab und zu mal. du sagst es. aber erst hatte ich fast ein schlechtes gewissen. doch dann habe ich mir gesagt: alles erledigt, haushalt und einkauf, den ganzen kram eben, da kann man sich auch mal richtig langmachen. abends habe ich sogar gelesen. ließt du auch gerne? sehr gerne sogar. ich verschlinge bestimmt 4 bücher pro monat. das is ne menge. bei mir isses weniger, aber ich habe mich auch darauf beschränkt, nur nützliches zu lesen. nur nützliches, wie meinst du das? na, wo man etwas lernen kann. sachbücher zum beispiel, aber keine in romane. da steht nur ausgedachtes drin. das hilft einem leider im leben nicht viel weiter. es muss was nützen, meine ich. romane lass ich schon mal weg. gar keine romane? da lässt du dir aber einiges entgehen. mal abgesehen davon, dass es auch realistische romane gibt, in den anderen ist es doch gerade die fantasie, die einen anregt. aber was soll ich mit fantasie. die fantasie hilft mir wenig beim haare schneiden. da muss ich einfach wissen wies geht. wenn mir dabei noch fantastische geschichten im kopf rumschwirren. das lass ich dann lieber. ich lese viel übers haareschneiden und übers haare färben. da lerne ich immer etwas neues. das hilft. es gibt immer wieder neue frisuren, neue farben. weißt du, man kann einen haufen verückter farben mischen. zum beispiel orangetöne sind ziemlich angesagt. ich kann dirs mischen, wenn du willst. danke, lass mal. oder was blaues. ich bleib beim alten. ja dann ... ach, wo war wir doch gleich stehen geblieben? du hattest gesagt, dass du nur nützliches liest. ach ja genau, nützlich und real muss es sein. man lebt ja schließlich in der wirklichkeit. kann man denn überhaupt hundert prozentig wissen, ob man etwas gebrauchen kann. ähm, ich meine schon. wenn man sich richtig eingerichtet hat. du hast einen job, den machst du jeden tag, irgendwann kommen die kinder, die werden groß und du bist in deinem alten job oder vielleicht in einem anderen und so weiter. darauf muss man vorbereitet sein. das sind reale themen. für was anderes habe ich keine zeit. oder wenn ich ehrlich bin, es interessiert mich auch nich besonders. ach, was machst du denn eigentlich so? du hast noch gar nicht so viel von dir erzählt. du hast doch bestimmt einen interessanten job? nein, ich habe keinen job. ach, so siehst du aber gar nicht aus. ja, wie sieht man denn dann aus? öh ja, ich meine nur, wenn man lange keinen hatte und von sozialhilfe leben muss. dann sieht man eher … na, du weißt schon. … son bisschen angegammelt aus. letztens erst habe ich so einen typen gesehen. schäbig sah der aus. überall flecken auf seinem alten mantel. der war bestimmt schon 100 jahre alt. wie kann man sowas überhaupt noch anziehen. eklig wirklich. ich bin gleich auf die andere strassenseite gegangen. also der war so ein kandidat, ich sags dir. holt sich seine kröten vom sozialamt. latscht da jeden tag hin und stinkt das sozialamt voll. da möcht ich auch nich arbeiten. weißt du, ich meine der kriegt doch sowieso nie wieder arbeit. so wie der aussieht. der is total … sagen wir mal überflüssig. wo ich hier den ganzen tag auf den beinen stehe, einen nach dem anderen abfertige, hängt der im sozialamt ab und kriegt auch noch dafür. na wenn ich was zu sagen hätte, würd ich solche penner in die wüste schicken und zwar alle ohne ausnahme oder ins lager wos nichts umsonst gibt, nicht mal trocken brot. tja, nur leider habe ich nichts zu sagen. aber du bekommst bestimmt keine sozialhilfe, stimmts? stimmt. das habe ich mir auch gedacht. aber wovon lebst du dann? wahrscheinlich von arbeitslosengeld. das geht ja noch. ich finde, du bist ganz schön neugierig. entschuldige, ich bin immer so schrecklich neugierig. ich kanns mir einfach nicht abgewöhnen. das befürchte ich auch. du lässt niemals locker, mh. also wenn du es unbedingt wissen willst. ich beziehe eine kleine rente. eine ... was? ne, rente? in deinem alter. … naja, is bestimmt ganz schön. ach, übrigens ich bin jetzt fertig. ich hol mal den spiegel, da kannst du dich von hinten sehen. … so, kannst dus sehen? ja, aber halt den spiegel mal etwas nach oben. … mensch, du hast mir da ja ein loch reingeschnitten. ähm, tatsächlich. tut mir leid. is doch nich so schlimm oder? doch verdammt, wie seh ich denn aus. soll ich vielleicht so auf die strasse gehen? so schlimm is es nun auch wieder nich. bleib doch einfach mal ein paar wochen zu hause, du musst doch eh nich raus. das müsste ich mir mal leisten können.

Text und Bild: Ilka Berger