schuhe kaufen ist keine krankheit

bild_schuhjedesmal wenn ich in die stadt fahre und zufällig, aber eben nur zufällig, an einem schuhgeschäft vorbeikomme, muss ich da unbedingt hinein. obwohl es dafür nun wirklich keinen grund, keine unbedingte notwendigkeit gibt, denn wenn ich im geheimen meine schuhe zähle, und das mache ich nur selten (und das aus gutem grund), komme ich aus dem staunen nicht mehr heraus. es ist eindeutig: es besteht nicht die geringste notwendigkeit, auch nur ein paar neue zu kaufen. trotz dieser nicht bestehenden bedürftigkeit hält mich nichts davon ab in das geschäft zu gehen.

aber vorsicht: das hier ist kein spaß, falls sie das glauben sollten, schon gar nicht für eine person, die sich mir freiwillig angeschlossen hat, denn zweifelsohne, sobald geht es da nicht wieder hinaus. und auch das ist hinreichend bewiesen, gehöre ich zu den menschen, die in jeder hinsicht grundsätzlich gründlich vorgehen und da macht natürlich das schuhekaufen auch keine ausnahme. unter freunden bin ich für dieses präzise, beinahe wissenschaftliche vorgehen bekannt und werde genau aus diesen gründen von vielen (nicht von allen, das muss ich zugeben) geschätzt. kommen wir also zu den konkreten vorgehensweisen (ich bin immer vorbereitet, auch wenn ich scheinbar spontan das geschäft betrete; ein plan existiert): zuerst (das habe ich mir nach längerer erfahrung so angewöhnt) gehe ich, so unauffällig wie nur möglich, in das schuhgeschäft hinein. nichts ist mir verhasster, als wenn ein pulk gelangweilter verkäuferinnen (es handelt sich hierbei fast immer um weibliches personal) auf mich zustürmt und dann in kleineren und größeren kreisbahnen um mich herumwirbelnd, seinen fragwürdigen schuhgeschmack aufzudrängeln versucht. ich schiebe mich wie auf zehenspitzen hinein. sollte sich in eingangsnähe eine säule oder ein pfeiler befinden (was leider nicht immer der fall ist), verschwinde ich dahinter. somit bin ich fürs erste getarnt und kann den befürchteten angriff der verkäuferinnen (manchmal nenne ich sie auch schuhvertickerinnen oder auch nur vertickerinnen) vorerst verhindern. von hier aus kann ich dann in ruhe nach meiner größe ausschau halten. aber wie es eben meistens so ist, steht keine säule oder ähnliches im eingangsbereich und ich senke sogleich mein gesicht um dem blickkontakt der verkäuferinnen auszuweichen. haben diese mich fürs erste ignoriert, nehme ich kurs auf die schuhregale und bleibe erst wieder vor dem regal mit der schuhgrösse 39 stehen. zu diesem zeitpunkt hat sich meine begleitung -sofern ich eine dabei habe und diese mir bis hierhin gefolgt ist- auf einen stuhl oder sessel gesetzt und wartet- in diesem moment noch zuversichtlich dreinschauend- geduldig auf ein bald- wieder-verlassen- können des geschäfts. ich konzentriere mich jetzt auf das schuhregal und beginne nach farben zu sortieren. ich meine auszusortieren, das heißt, ich beginne mit der farbe weiß (fragen sie mich nicht warum gerade weiß. ich weiß es einfach nicht. es hat sich so ergeben). ich beginne also die weißen schuhe -sofern vorhanden- aus dem regal mit der schuhgröße 39 herauszunehmen und auf den boden zu stellen. nicht einfach so, versteht sich. ich sortiere die weißen schuhe von links nach rechts nach der höhe des absatzes und der schuhart. ich unterscheide hier offene schuhe wie zb. sandalen, clox, pantoletten etc. und geschlossene schuhe wie zb. schnürschuhe, slipper, stiefel etc. ganz außen links stehen dann die weißen offenen flachen schuhe, daneben die weißen offenen mit mittelhohem absatz (hierunter fallen auch die schuhe die nur einen sehr kleinen absatz aufweisen, da eine zu starke differenzierung nach verschiedenen absatzhöhen eine fast unendliche reihung ergeben würde; deshalb habe ich mich hier für eine gröbere unterteilung entschieden, um nicht ganz den überblick zu verlieren) und dann daneben die weißen offenen mit hohem absatz (auch hierbei bin ich hinsichtlich der unterteilung wie mit den mittelhohen verfahren). also am ende der reihe stehen dann die sogenannte extrem high heels mit einer absatzhöhe bis zu 19 cm. (die aber aus sicherheitsgründen für mich nicht in die engere wahl fallen.) wenn ich bis zu diesem zeitpunkt in meinem gründlichen vorgehen von keiner verkäuferin gestört worden bin, beginne ich die weißen geschlossenen in der selben art und weise in eine reihe unter die weißen offenen einzusortieren. links die weißen geschlossenen flachen schuhe bis hin zu den weißen geschlossenen hohen schuhen rechts außen. wie lang die reihe der weißen offenen und die der weißen geschlossenen wird, hängt vom angebot ab und das wiederum von der aktuellen mode. ich konnte jedoch in den letzten anderthalb jahren einen deutlichen anstieg des angebots an weißen schuhen feststellen. fast jedes geschäft präsentiert jetzt eine große auswahl an weißen schuhen, so dass ich schon im ersten arbeitsgang, also dem des aussortierens der weißen offenen schuhe und der weißen geschlossene schuhe, reichlich ins schwitzen komme. ich lege jetzt immer auf grund der tatsache, dass viel mehr weiße schuhe auszusortieren sind, als das noch vor anderhalb jahren der fall war eine kleine pause ein, die ich dann dazu nutze, jedes paar etwas genauer zu betrachten, um eine mögliche vorabauswahl zu treffen, obwohl das natürlich sehr gewagt und von keinerlei bedeutung ist, bevor nicht die eigentliche prüfung, nämlich, die der qualität und bequemlichkeit von mir durchgeführt worden ist. ich gönne es mir, ein bißchen spaß muss sein, bevor ich mich dem zweiten arbeitsgang zuwende, der ein hohes maß an genauigkeit und geduld erfordert und sich hier jede nur kleine schlamperei grausam rächt. bereits zu diesem zeitpunkt hat jede noch so geduldige begleitung (wobei man sich durchaus über das aufzubringende mindestmaß an geduld gegenüber seinen freunden streiten kann und auch sollte) das geschäft verlassen. ich nehme dann das erste paar ganz links außen aus der oberen reihe mit den weißen offenen schuhe und ziehe sie an. nach einigen schritten quer durch den laden habe ich mir bereits ein ungefähres bild gemacht und kann zumindest sagen, ob der schuh den mindesten bequemlichkeitsstandards entspricht -zb. leichte flexible und bequeme laufsohle- und ob es sich lohnt, die schuhe überhaupt noch auf weitere qualitätsmerkmale zu prüfen. sollte das der fall sein, ziehe ich mein qualitätsbuch aus meiner tasche und trage den schuh mit artikelnummer, die sich meistens im inneren des schuhs befindet, in eine tabelle, die in mehrere spalten aufgeteilt ist, ein. ganz links außen in der ersten spalte steht also die artikelnummer + farbe, in der zweiten spalte über der reihe, in der die artikelnummer + farbe steht : allgemeine bequemlichkeit, danach folgen in weiteren spalten die zu beurteilenden eigenschaften: qualität der laufsohle, qualität der innensohle, qualität außenleder + verarbeitung, qualität innenleder + verarbeitung. qualität der färbung, design. die erste beurteilung wird mit der entsprechenden farbe gekennzeichnet, hierzu habe ich ein farbpunktesystem entwickelt: ein schwarzer punkt steht für schlechte qualität, ein grüner punkt steht für gute qualität, ein roter punkt steht für sehr gute qualität. spätestens zu diesem zeitpunkt, also spätestens, wenn ich aus meiner tasche die bunten stifte herausgekramt habe und im begriff bin, die ersten punkte zu verteilen, sind alle augenpaare, die sich in der nähe meiner aktion befinden auf mich gerichtet. jetzt wirds unangenehm (eine treffsichere erkenntnis, die ich durch lange erfahrungen erworben habe). besonders die verdutzt dreinschauenden verkäuferinnen rotten sich zusammen, tuscheln aufgeregt, bis sich eine aus dem quirligen haufen löst und unmissverständlich auf mich zu steuert. bevor sie aber auch nur die ersten unfreundliche sätze aus ihrem mund gelassen hat, setze ich schon zum gegenangriff an. was sich dann meistens so anhört: sie beobachten mich, oder? warum beobachten sie mich? ah, sie meinen vielleicht ich habe keine ahnung. sie meinen, sie müssten mir, mit ihrem dürftigen wissen, auf die sprünge helfen (das ist der augenblick in dem sich die schuhvertickerin hilfesuchend nach ihren kolleginnen umsieht). sie meinen, die gründliche prüfung ihres hier so demostrativ ausgestellten schuhwerks stört den reibungslosen verkaufsbetriebs ihres mickrigen ladens. ich will ihnen nur eins sagen. und ich sag es nur einmal: ihr geschäft und die geschäfte aller anderen existieren nur noch deshalb, weil es so sorgfältig und gewissenhaft arbeitende kundinnen wie mich gibt die, nach gründlicher prüfung, fast jeden qualitätsschuh kaufen. ist ihnen das bewußt? aber nein, ich ahne es, sie fürchten nichts mehr, als meine gründliche prüfung. sie fürchen nichts mehr, als die entdeckung ihrer schlechten schuhqualität, die sie auf raffinierte weise zu verbergen versuchen. aber mir wird nichts entgehen. ich lasse mich nicht aufhalten, weder von ihnen noch von anderen. (der verkäuferin ist mittlerweile jegliche farbe aus dem gesicht gefallen) haben sie damit ein problem? (ich schreie jetzt) haben sie damit ein problem? haben sie ein problem damit, dass ich mich für ihre schuhe interessiere. (die anderen verkäuferinnen haben sich zum gegenwärtigen zeitpunkt in die hinterste ecke verzogen) haben sie ein problem damit, dass ich mich hier gründlich umsehe oder gefällt ihnen einfach meine nase nicht? kommen sie seien sie nur ehrlich, sie haben mich die ganze zeit beobachtet (ich lasse die verkäuferin nicht zu wort kommen). sie haben einfach beschlossen, mich nicht ausstehen zu können; sie haben beschlossen, meine freundliche kaufbereitschaft zu stören. sie haben beschlossen, sie ganz allein haben beschlossen, mich aus dem laden zu ekeln (ich muss jetzt kurz luft holen, was die verkäuferin dazu nutzt, sich demütig und vielmals zu entschuldigen und nicht aufhört zu betonen, dass es sich hier um ein missverständnis handeln muss). sie entschuldigt sich noch ca. 10 minuten lang, bis sie sich mit den worten: ich bitte vielmals um entschuldigung, bitte lassen sie sich nicht stören, wir freuen uns sehr sie in unserem geschäft begrüssen zu dürfen, ich wünsche ihnen weiterhin einen angenehmen aufenthalt, zurückzieht. wo war ich stehengeblieben? ach so: ich war dabei, die erste qualitätsbewertung in meinem buch einzutragen, um dann anschließend den schuh einer weiteren prüfung zu unterziehen. ich begutachte die laufsohle und trage den entsprechenden punkt unter qualität der laufsohle ein. so verfahre ich mit allen anderen zu prüfenden eigenschaften und trage entsprechend meinem urteil den zutreffenden farbigen punkt ein. dann nehme ich mir das nächsten paar schuh vor und das spiel geht wieder von vorn los. erst den schuh überziehen, dann wieder ausziehen und gegebenenfalls zu weiteren qualitätsprüfungen übergehen. alles wird sorgfältig notiert, kein schuh wird ausgelassen. nachdem ich also die beiden reihen der weißen offenen schuhe und der weißen geschlossenen schuhe geprüft habe (der zeitaufwand hierfür, also für die prüfung der weißen schuhe, ist aus bereits genannten gründen, von durchschnittlich 20 minuten auf mindestens 35 bis hin zu 45 minuten gestiegen [hierfür benutze ich stichprobenartig die stoppuhr]), mache ich mich abschließend daran, die schuhe von schlechter qualität, also die schuhe, die nicht in die engere auswahl kommen, zu entfernen und auf einen haufen zu legen. (es ist jedes mal wieder spannend zu sehen, wie in dem jeweiligen geschäft der schlechte- schuhe-haufen wächst). die erste farbaussortierung ist dann mit diesem akt, also dem akt des schlechte-schuhe-haufen-bildens (es ist äußerst selten, um genauer zu sein, fast ausgeschossen, dass von den weißen schuhen alle exemplare den mindestanforderungen entsprechen), abgeschlossen. daraufhin konzentriere ich mich auf die auswahl der nächsten farbe, wobei ich mich bei dieser auswahl ganz meinem gefühl überlasse, das heißt: kann zum beispiel die farbe blau, aus irgendwelchen gründen mein starkes interesse wecken, wende ich mich den blauen schuhen zu und die gesamte prozedur des aussortierens und prüfens beginnt von neuem. unter den beiden oberen weißen reihen (also die mit den aussortierten weißen schuhen) werden in zwei reihen, mit ihren jeweiligen differenzierungen, die blauen offenen schuhe und die blauen geschlossenen schuhe einsortiert. aus erfahrung nimmt das aussortieren und prüfen der blauen schuhe nur wenig zeit in anspruch, da die menge der ausgestellten blauen schuhe sich in den letzten jahren kaum verändert hat und seit anbeginn meiner touren nur in geringer zahl vertreten ist. ich komme somit zügig voran und kann mich bald der nächsten farbe zuwenden, die mit der gleichen sorgfalt aussortiert und geprüft wird. nach und nach sortiere ich jede farbe aus, die unter der größe 39 zu finden ist und ich muss mich immer wieder nach einer gewissen zeit, im bereits vortgeschrittenen arbeitsprozeß, daran erinnern, dass ich nicht den gesamten raum des besetzten schuhgeschäfts in beschlag nehmen kann, was mir natürlich ganz unbeabsichtig und mehr aus nachlässigkeit schon des öfteren passiert ist und ich dann, weil die geschäftsleitung sich nicht mehr anders zu helfen wußte (ich habe durchaus verständnis dafür), unter polizeiandrohung aus dem laden gebeten, präziser, geschmissen wurde. aber ich bin dahingehend in letzter zeit etwas aufmerksamer geworden, da es in meinem besonderen interesse liegt, so lange wie möglich im laden bleiben zu können, so lange wie es eben notwendig ist, eine geeignete auswahl zu erstellen. ich halte mich also ein bisschen zurück und schiebe nötigenfalls die bereits vorhandenen, auf dem boden ausgebreiten reihen etwas zusammen. jedoch für den berg der schuhe mit schlechter qualität bin ich nicht verantwortlich, den hat einzig und allein die geschäftsleitung und ihre fehlkalkulation zu rechtfertigen. ich empfehle dann immer die müllabfuhr. aber gesetzt den fall, dass bis zu diesem zeitpunkt alles einigemaßen glattgelaufen ist und ich eine auswahl von schuhen aus allen farben mit höchster qualität vor mir aufgebaut habe, beginnt der schwierigste und nervenaufreibendste teil: und zwar das ausuchen der schuhe. ich meine damit konkret: das aussuchen der schuhe, die ich dann wirklich kaufen will. und das ist nicht so einfach, denn mein geldbeutel ist durchaus bescheiden und ich muss die anzahl der modelle entsprechend der knappheit in meinem geldbeutel auf das irgendwie machbare reduzieren. also, welches design ist nun am schönsten, stell ich mir als erstes die frage, denn das problem der qualitätskennzeichnung wurde von mir hinreichend geklärt? alles weitere läuft dann ungefähr folgendermaßen ab: ich stelle mir also weiterhin essentielle fragen wie: soll es zum beispiel die lila-gelb-kombination mit raffiniertem riemchenkreuz und stehsicheren blockabsatz sein oder doch lieber die hoch moderne, petrolfarbene freizeitsandale? vielleicht aber auch die phänomenalen goldfarbenen stöckelschuhe mit peep toe schuhspitze. sehr schön sind auch die braunen holzclox mit weiß abgesetzten nähten. und dann wären da noch die klassisch geschnitten pumps aus lackleder mit kleiner schleife im fersenbereich. ich bin schlicht verzweifelt, denn ich kann mich einfach nicht entscheiden. jetzt schaue ich mich hilfesuchend nach einer verkäuferin um, die nur darauf gewartet hat mir zur seite springen zu dürfen. sie empfiehlt mir z.b die gelbvioletten mit dem dicken blockabsatz. ich schüttele daraufhin nur den kopf. es tut mir leid ich weiß es einfach nicht. ich kann mich einfach nicht entscheiden. vielleicht komme ich morgen noch einmal wieder.

Text + Bild Ilka Berger

ilka-berger.de