20111130

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Das Einssein mit dem Precor Crosstrainer EFX® 5.37 mit geschützter CrossRamp-Technologie. Die Maschine und der Verdrahtete per Interface verbunden. Hände um Griffe, Füße pedalt, Puls und Hirnschlag im Monitor. Laufen und gleichzeitiges Boxen (Rudern, Skifahren?) auf der Stelle.
Der Mann braucht weder Einatmen noch Ausatmen, doch die Verdrahtung der Lunge verlangt's: drei Schritte Einsaugen schweißwolkenverhangener Luft, fünf Schritte Auspusten derselben, noch feuchter, noch verbrauchter, und wieder von vorne.

Der Mann im Rollstuhl ein junger Gott. Und niemand merkt, wie FREMDBESTIMMT er schuftet. Von wegen Schuften. Wohltuendes Schwitzen und Strampeln - trotz Lähmung und eines Stuhls, der die Bezeichnung nicht (mehr) verdient. Der (ein handbetriebener Krankenfahrstuhl Primo Basico XL SB 56 inkl. Schlupfsack) steht kaputt neben dem Mann i.R. am Crosstrainer, genauer: zwischen dem Mann i.R. am Crosstrainer und anderen Männern an (auf) anderen Crosstrainern; eine Armee der Unsterblichen vor großen Fenstern, die übrigens einen Blick aus der Anstalt zulassen, die übrigens einen Blick IN die Anstalt zulassen, nebst Bewunderung des Körpers vor dem Geist. Schöne Männer, zu denen sie (allesamt Mörder und Vergewaltiger) am Trainer werden, bevor sie ihr letztes Match antreten, und die Frauen nicht minder, hier, im Gemischtgeschlechtlichen.
Ich bin, sagt der Mann im (neben dem) Rollstuhl, eine Menschmaschine!
Ich bin eine Schreibmaschine. Sagt Adorno, der zu Besuch gekommen ist, sich zu verabschieden vom Todgeweihten, denn diesmal, diesmal, ist es wirklich ernst, diesmal sagt man Tschüss forever und liest dem wehrlosen Mann an der Maschine Gedichte vor, die man selbst verfasst hat.
Der Gnom steht also zwischen M.i.R. und Nachbargott, und weil das Stehen einem Verwachsenen nicht bekommt, setzt er sich auf den gottverdammten Stuhl und singt das Lied der Todeszelle:

»Sie hat uns alles gegeben.
Sonne und Wind, und sie geizte nie.
Wo sie war, war das Leben.
Was wir sind, sind wir durch sie.
Sie hat uns niemals verlassen.
Fror auch die Welt, uns war warm.
Uns schützt die Mutter der Massen.
Uns ...«

Beim letzten Satz bricht der Rollstuhl zusammen, mal wieder, die Radnabe, die geflickte, ein Haufen Schrott das Ding und Adorno scheppert mit dem ganzen Eisen zwischen uns Eisernen zu Boden, singt aber unverdrossen weiter, noch im Fallen:
»... uns, UUUUUNS trägt ihr mächtiger Aaaaaaaaaaarm.«
Worauf die starken Männer links und rechts und hinter uns einstimmen im Chor, mit donnernden Stimmen der Arbeiterklasse:

»Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!
Und, Genossen, es bleibe dabei;
Denn wer kämpft für das Recht,
Der hat immer recht.
Gegen Lüge und Ausbeuterei.
Wer das Leben beleidigt,
Ist dumm oder schlecht.
Wer die Menschheit verteidigt,
Hat immer recht.
So, aus Leninschem Geist,
Wächst, von Stalin geschweißt,
Die Partei - die Partei - die Partei!«

Adorne - erst konsterniert, dann peinlich berührt, des Plagiats ertappt, dann die Gelegenheit und noch mehr sich selbst beim Schopf ergreifend und aus dem Schlamassel ziehend, klopft sich nur schnell noch wie Staub ein paar lose Schrauben vom Hemd und - DIRIGIERT!

Kaum bemerkt: mittendrin sein schnelles Winken in einen toten Winkel der Bühne hinein, und schon schiebt man den Friedrich, exhumiert und mithilfe einer Rolle Kaninchendraht sogleich wieder inhumiert, auf einer Liege in den Saal, ein Drahtkörperfriedrich, noch nicht ganz fertig, aber schon gut erkennbar ganz er, der Trauerklos, der Friedrich, sogar mich anlächeln kann der Kopf aus wohlformen Gittergeflecht. Augenlider, denen der Schweiß fehlt, und mehr noch: das Fleisch.

»Sie hat uns niemals geschmeichelt!«, sagen die Lippen aus feinem Kupferhaar, ein Draht, wie man ihn aus aufgeschnittenen Stromkabeln herausknibbeln kann, »Sank uns im Kampfe auch mal der Mut«, sagen die Lippen mit blecherner, beinahe rostiger Stimme, »Hat sie uns leis nur gestreichelt,
zagt nicht und gleich war uns gut.
Zählt denn noch Schmerz und Beschwerde,
wenn uns das Gute gelingt.
Wenn man den Ärmsten der Erde,
Freiheit und Frieden erzwingt!«

»Frieden eh ... Friedrich!«, rufe ich, »Oh Friedrich, bist du tot und wieso ... also ... HIER?«
Der Mann im Rollstuhl kann sich selbst kaum noch bewegen, obwohl doch zur Bewegungsmaschine geworden. Leider hat das Salz seines trockenen Schweißes den Crosstrainer EFX® 5.37 von Precor mit geschützter CrossRamp-Technologie total durchgerostet. Wie schon lange zuvor den Rollstuhl, in dessen Überresten ein hässlicher Gnom steht und seine geklauten Lieder feilbietet.

I am The Gitterman, denkt der M.i.R., der sich daraufhin mehr denn je einen neuen Rollstuhl wünscht, einen modernen elektrischen von Stihl, dessen Motor per Knopfdruck ihn wie eine Kettensägenglied wohin befördert.

 

 >>> Kommentar der Putzfrau (singend): »Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!« (und im Weiteren immer leiser werdend, dabei langsam den hinteren Bühnenraum querend, den Feudel schwingend und hier und da gedankenverloren über den Boden wischend:) »Die Partei - die Partei - die Partei ...«